Georg Zeppenfeld als Gurnemanz in Parsifal bei den Bayreuther Festspielen. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Guter Gurnemanz, nicht spektakulärer Zeppenfeld

Georg Zeppenfeld ist der Star der Bayreuther Festspiele 2016. Die Kritiken feiern den “Bass von Weltformat”, der in diesem Jahr drei Partien hat: Gurnemanz in Parsifal, König Marke in Tristan und Isolde und Hunding in Walküre. Kommentar des  Gefeierten: “Das Format, das das Medieninteresse jetzt angenommen hat, das verwundert mich ein bisschen.” Im Interview zeigt sich: Georg Zeppenfeld spricht nicht entferntesten arrogant wie ein Star, sondern so nobel wie er singt.

festspieleblog.de: Die wichtigste Frage in diesen Tagen: wie geht es Ihnen. Erfreuen Sie sich guter Gesundheit?
Ja bislang noch. Solang man Stress hat, wird man ja nicht so leicht krank.

Davon haben Sie ja genug. Sie sind Gurnzemanz, Marke und jetzt auch noch Hunding. Oder kann man letzteres vernachlässigen?
Sicher nicht. Aber es stimmt, Hunding ist nicht so umfangreich. Man ist schneller fertig und der szenische Aufwand ist auch nicht so groß. Da muss man auch nicht so viel um die Ecke denken.

Um die Ecke denken bei König Marke

Im Gegensatz zu Gurnemanz oder Marke?
Bei König Marke muss man komplett um die Ecke denken, finde ich. Weil seine Rolle hier ganz anders aufgefasst ist als im Stück. Das war am Anfang nicht ganz ohne. Ich musste mich daran gewöhnen, das eine zu spielen und zu denken und das andere zu singen. Und das auf eine überzeugende Art und Weise.

In Katharina Wagners Tristan und Isolde ist Marke nicht der traurige Onkel, sondern ein Despot. Gibt diese Interpretation der Text nicht her?
Der Text ist relativ „geduldig“, aber die Musik interpretiert ihn ziemlich deutlich…

War das schwierig für Sie?
Ja, es ist eine Schwierigkeit, in dieser Rolle überzeugend zu sein, wenn man nicht darauf verzichten will, die musikalische Intention zu treffen. Wenn man dabei etwas anderes spielt, kann sich das anfühlen wie eine Vorübung zur Schizophrenie. Ich hätte den Marke nicht kalt oder hässlich singen wollen.  Aber das wurde mir auch nicht abverlangt. Katharina Wagner hat mir bei den Proben letztes Jahr erklärt, wie sie den Marke haben möchte und warum sie das so haben möchte.

“Ich präferiere diese Variante nicht.”

War es für Sie nachvollziehbar?
Ich präferiere diese Variante nicht. Aber ich kann nachvollziehen, was sie gedacht hat. Und sie hat mir dann relativ freie Hand gelassen, hat mich auch gefüttert mit Ideen, wie man den Ausdruck besser treffen kann, den sie möchte. Aber sie hat nicht grundsätzlich eingreifen wollen, was ich da mache — und schon gar nicht, wie ich singe. Dazu gehört ja auch eine Größe zu sehen, da ist jemand eigentlich nicht meiner Meinung ist, aber er soll das mal machen wie er meint. So etwas kann nicht jeder.

Müssten Sie den Bösartigen dann auch im Gesang anders anlegen?
Ich denke ja. Ich müsste mich sozusagen um einen anderen Tonfall bemühen. Den Hunding muss man ja auch nicht so singen wie ich ihn singe. Aber ich habe den Eindruck, dass er in dieser Produktion einfach so bösartig gemeint ist. Er könnte ja auch ein einfacher Mann sein, ein teutonischer Hausvater, der sich an seine Pflichten als Gastgeber hält und ebenso an seine Pflichten mit der Blutrache.

“Über Details im Ring verschont”

Hatten Sie überhaupt noch Zeit für die Proben in der Walküre?
Man hat mich mit Details verschont, weil der erste Einsatz ja erst in der Orchesterhauptprobe stattfand. Man hat mir kurz erklärt, was ich wann machen muss, wo ich wann sein muss und wie das mit den Filmaufnahmen ist. Dann haben wir das in der Hauptprobe probiert, und es ging.

Auch fies kann Georg Zeppenfeld. Die Rolle als König Marke in Tristan und Isolde singt und spielt er überzeugend, "aber ich präferiere sie nicht". © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele
Auch fies kann Georg Zeppenfeld. Die Rolle als König Marke in Tristan und Isolde singt und spielt er überzeugend, “aber ich präferiere sie nicht”. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

 

Da haben Sie ja allein in Bayreuth nun drei sehr unterschiedliche Regiekonzepte. Wo fühlen Sie sich als Sänger besser?
Es ist natürlich für einen Sänger am besten, wenn es eine Konvergenz gibt zwischen dem was man denkt, und dem was man singt. Insofern habe ich mit dem Parsifal natürlich leichtes Spiel. Der ist geradeaus erzählt. Ich muss mir keine Finten oder Brücken bauen, wie das zum Beispiel beim Lohengrin von Hans Neuenfels 2010 der Fall war. Da musste ich einen ganz hinfällig schwachen Menschen spielen, der permanent von Angst getrieben und von einer Unsicherheit in die andere gejagt wird, während die Musik was ganz anderes erzählt. Das ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe und man fühlt sich dann unter Umständen nicht sonderlich wohl auf der Bühne. Das hat mir Uwe Laufenberg mit seinem Konzept völlig erspart, denn ich kann einen glaubwürdigen Gurnemanz singen und spielen und muss nicht irgendwas für mich übersetzen, was ich denn da gerade jetzt meinen könnte.  Da kann ich mich auf das konzentrieren, was von einem Sänger erwartet wird, nämlich, dass er die Rolle produziert und dass er Farben findet, das darzustellen.

Sie debütierten 2010 als Heinrich in Lohengrin in Bayreuth, waren 2011 Veit Pogner in den Meistersingern, kehrten schließlich 2015 als Marke zurück. Aber dieses Jahr werden Sie als die Entdeckung gefeiert. Was sagen Sie dazu?
Auf der einen Seite muss ich zugeben, dass sich natürlich seit 2010 meine stimmlichen Möglichkeiten schon entwickelt haben. Das ist auch altersmäßig so zu erwarten. Deshalb ist für mich eine Rolle wie Gurnemanz nun einfach dran. Das liegt mir im Moment sehr gut. Andererseits: Das Format, das das Medieninteresse jetzt angenommen hat, das verwundert mich ein bisschen.

“Nach Bayreuth, weil ich Wagner singen will”

Wie ist das?
Das ist schön, das ist schmeichelhaft. Aber letzte Endes… Ich komme eigentlich nicht nach Bayreuth, weil ich hier als Person großartig in den Fokus rücken will, sondern ich komme nach Bayreuth, weil ich hier Wagner singen will. Ich möchte einen guten Gurnemanz auf die Bühne stellen, keinen spektakulären Zeppenfeld.

Was ja offensichtlich gelingt.
Ja, das beruhigt mich auch sehr und ich denke, der Hype ist schnell vorbei. Aber ich hoffe, dass der Gurnemanz in Erinnerung bleibt.

Sie fühlen sich in dieser Rolle und dieser Produktion des Parsifal wohl. Die Kritik hat großteils die Regie von Uwe Eric Laufenberg verrissen. Lesen Sie die Kritiken?
Das lese ich, auf jeden Fall. Das interessiert mich und es bestätigt mich in einer Beobachtung, die ich schon ganz lange und ganz oft gemacht habe, dass nämlich das Feuilleton meistens anderer Ansicht ist, als das Publikum. Und im Publikum herrscht, glaube ich, eine positive Stimmung vor. Ich habe den Eindruck, die Leute sind dankbar, dass sie das Stück so erleben, wie es komponiert und wie es als Theaterstück gedichtet wurde. Und wenn ein Feuilleton dann durch die Bank anderer Ansicht ist, dann kann das einfach damit zusammenhängen, was die Feuilletonisten erwartet haben. Man lernt aus einer Kritik ja zweierlei: Zum einen wie die Aufführung war und zum anderen wie die Erwartungen des Rezensenten waren. Und die Gewichtungen können sehr unterschiedlich sein.

“Wahnsinnig viel Darstellungsfläche als Gurnzemanz”

Über Ihre Leistungen gibt es keine unterschiedlichen Meinungen. Ihnen wird – ebenfalls durch die Bank – Weltklasseniveau bescheinigt. Braucht es dazu den dreifachen Bayreuth-Einsatz?
Ich denke, es hat mit der Partie des Gurnemanz zu tun. Weil es zwar nicht die Titelpartie ist, aber im Prinzip doch die Partie, mit der der Zuschauer am längsten konfrontiert ist.  Es gibt also wahnsinnig viel Darstellungsfläche als Gurnzemanz und man kann sich genüsslich überlegen, wie man das gestalten will. Und es ist auch schön, auf die Bühne zu gehen und nicht, wie bei König Marke in einer Szene von 12 bis 14 Minuten alles geben zu müssen. Das ist sehr intensiv. Der Gurnemanz ist extensiv. Ein älterer Kollege hat mal gesagt, da gehst du auf eine Reise, und du weißt nie, wie du ankommst.

Und, stimmt das?
Ja. In so einer langen Partie gibt es immer mal Momente, mit denen man nicht zufrieden ist, oder in denen man denkt, jetzt geht die Kraft aus, oder es gelingt aus irgendwelchen Gründen etwas nicht so gut wie sonst. Das gehört dazu. Und es macht jeden Abend einzigartig. Das ist auch interessant, man lernt über sich selbst sehr viel dabei.

Zum Beispiel, dass man sich richtig viel vornehmen kann, wie Sie das jetzt tun? Wollen Sie herausfinden, wie weit Sie gehen können?
Nee, nicht wirklich. Natürlich hat die Herausforderung ihren Reiz. Und ich bin ja auch nicht frei von Ehrgeiz. Aber wenn ich solche Triebe ausspielen wollte, würde ich das sicher nicht an diesem stark beobachteten Ort machen. Ich war hier eingeteilt für Gurnemanz und  König Marke. Das sind die beiden Wagner-Partien, die mir stimmlich am meisten liegen, weil sie einfach meinem Farbspektrum entsprechen. Dass der Hunding dazu kam, das war einfach den Umständen geschuldet. Bevor ich zugesagt habe, habe ich erst geschaut, wie die Vorstellungen liegen. Wenn die Walküre am Tag nach Parsifal gewesen wäre, hätte ich nicht zugesagt. Und ich bin ja auch nicht dazu verdonnert worden.

Ist Nervosität ein Thema für Sie?
Das hängt davon ab, wie die Stimme gerade drauf ist. Also wenn ich beim Einsingen morgens merke, da ist etwas nicht so, wie’s sein soll — die Voraussetzungen stimmen nicht, die Stimme fühlt ich nicht so an wie sie sollte, eine Erkältung im Anflug, vielleicht zu viel gesungen, vielleicht zu wenig getrunken — es gibt ja 1000 Gründe, die dazu führen können, dass da irgendwas aus dem Lot gerät. Dann werde ich nervös. Und dann ist’s eine ziemlich unangenehme Zeit, bis man wirklich auf die Bühne geht. Das spielt sich aber in der Regel weg, wenn man erst mal im Tritt ist. Und  dann greift so eine ganz heilsame Art von Routine. Aber die Zeit bis dahin ist oft grausam.

Nervös nur unter gewissen Umständen

Haben Sie Gegenmittel wie Yoga oder Entspannungsübungen?
Nein, ich bin kein großer Esoteriker. Ich hab meine Arbeitsroutine und die hilft meistens. Aber wenn ich keine Probleme spüre und Grund zur Zuversicht habe, dass die Stimme ihren Job machen wird, dann bin ich nicht nervös. Dann bin ich gespannt, wie der Abend wird und ehrgeizig und hoffe, dass ich das hinkriege, wie ich es mir vorstelle — und hab dann auch Lust zu arbeiten.

Wie gelang Ihre Stimmentwicklung? Haben Sie intensiver gearbeitet?
Ich singe im Wesentlichen noch mit der Stimmtechnik, die ich an der Musikhochschule gelernt habe. Die hat mich bis hierher gebracht, und ich sehe bislang keinen Anlass, daran groß was zu ändern. Ich weiß, bestimmte Dinge kann ich nicht sonderlich gut und daran arbeite ich dann auch. Aber im Wesentlichen besteht das Geheimnis darin, dass ich die Brötchen, die ich gerade zu backen habe, so gut wie möglich backe. Egal, was es ist. Und das bringt einen dann schon weiter. Den Rest macht die Anatomie.

Eine Altersfrage also?
Ich glaube schon. Es gibt Sänger, die sind früh fertig. Prominentes Beispiel ist Rene Pape. Der konnte irrsinnig früh gut singen. Das war bei mir nicht so. Meine Stimme ist kontinuierlich gewachsen. Und ich freue mich, dass sie bislang immer noch im positiven Sinne auf ihre Aufgaben reagiert. Noch kann ich einfach von Jahr zu Jahr erkennen, dass ich mehr Möglichkeiten habe und weniger leicht ermüde.

Das ist auch eine Konditionsfrage? Und eine Frage der Erfahrung?
Genau. Man muss auch mal die Erfahrung gemacht haben, dass man an einem Abend aus irgendeinem Grund nur 70 Prozent Stimme zu Verfügung hatte und das Publikum sich trotzdem freut, weil im Laufe des Abends Vieles gut gelaufen ist. Das sind Erfahrungen, die mir zumindest ein Selbstvertrauen schenken, das sehr alltagstauglich ist.

“Zeit für die Familie haben”

Sie sind ja Ensemble-Mitglied der Semperoper Dresden. Ist die Freiberuflichkeit mit gut dotierten Gastaufträgen eine Option für Sie?
Ich bin seit Jahren Ensemble-Mitglied in Dresden, aber mittlerweile bin ich nicht mehr im Festvertrag dort. Man hat mir schon 2005 mit einem Residenzvertrag die Möglichkeit gegeben, mehr zu gastieren. Das ist so eine Art Teilspielzeitvertrag. So bin ich in der privilegierten Situation, sowohl das Singen fest am Haus zu kennen als auch gastieren zu können.

Eine schöne Situation. 
Das ist fabelhaft, weil es mir eben wirklich ermöglicht auch einen ganz erheblichen Teil meiner Zeit bei meiner Familie zu sein.

Wie geht es für Sie weiter? Wagner for ever oder haben Sie auch andere Favoriten?
Ich hab natürlich auch andere Favoriten. Es gibt eine gewisse Versuchung, wenn man hier in Bayreuth erfolgreich war, das zum Zentrum der eigenen Tätigkeit zu machen. Und wenn ich in meinen Kalender gucke, hat Wagner auch einen besonderen Stellenwert in meinem Repertoire. Ich sing’s ja auch irrsinnig gern.  Aber ich singe eben auch sehr gern italienische Opernpartien, ich singe weiterhin gerne Mozart, ich singe auch gern Fidelio. Und ich bin froh, dass ich auf nicht allzu viel verzichten muss. Ich habe immer wieder den Ausgleich und kann ins italienische Fach schnuppern. Das ist auch für die Stimme sehr gut und hält sie flexibel.

Muss man sich zu dieser Umstellung zwingen?
Ich hab vor vielen Jahren, da war ich noch Schulmusiker, in einem uralten Exemplar der britischen Zeitschrift „Grammophon“ ein Interview von Robert Lloyd, einem Fachkollegen aus England, einem großartigen Bassisten, gelesen. Und dieses Interwiew trug die Überschrift „I‘m a specialist in non-specialisation“. Das ist mir sehr im Gedächntis geblieben.

Wie entdeckten Sie überhaupt, dass Sie Sänger werden wollten?
Es war nicht so, dass jemand gesagt hätte: „Boah, tolles Talent“. Ich habe in der Eignungsprüfung zum Musiklehrerstudium in Gesang, ich glaube, eine Drei gehabt. Also, wer ne gute Stimme hatte, kriegte eine Zwei! Auch im Unterricht habe ich viele Kommilitonen gehört, die schon mehr konnten als ich. Schlüsselerlebnisse waren Aufführungsabende mit Baritonen, die ganz fabelhaft gesungen haben. Das hat mich erschüttert. Es war plötzlich so, dass mich diese Musik am meisten ergriffen hat. Und ich habe meinen Lehrer gefragt, ob er mir das beibringen kann.

Einstieg mit Doktor Bartolo im Figaro

Die Reaktion?
Der Gesangslehrer, der jahrzehntelang damit beschäftigt war, Schulmusiker und Kirchenmusiker durch ihr Pflichtfach zu schleusen, sagte: „Gut, aber dann wollen wir die Sache schon mal ernster nehmen.“ Er hat tatsächlich andere Saiten aufgezogen und hat mehr Anforderungen gestellt, mich auch konfrontiert damit, was man alles können könnte. Es wurde immer interessanter. Plötzlich fand ich mich dann im Cast für eine Opernschulinszenierung wieder. Es gab keinen passenden Bassisten aus dem Gesangshauptfach. Eben war ich noch Schulmusikstudierender und plötzlich fand ich mich als Doktor Bartolo in Figaros Hochzeit wieder. Ich war szenisch vollkommen unerfahren und die Bühne lag mir eigentlich vollkommen fern. Aber ich hab das gemacht und hab eben Feuer gefangen.

Und so ließen Sie den Schulmusiklehrer links liegen?
Es ging in kleinen Schritten vorwärts. Es hat beiweitem nicht jeder Gesanglehrer der Hochschule daran geglaubt, dass ich Zukunft hätte, als ich die Aufnahmeprüfung für das Hauptfach gemacht habe. Während des Studiums musste ich dann noch meinen Gesanglehrer wechseln, weil mein erster Lehrer pensioniert wurde. Richtig war ich dann bei Hans Sotin, bei dem ich in Köln fertig studiert habe. Er gab mir dann eigentlich die entscheidende Hilfe, um bühnenreif zu werden.

Wie schnell ging das?
Ich war nur drei Semester bei Hans Sotin. Dann kam schon die erste Anfrage vom Theater Münster für ein Festengagement. Sotin sagte: „Geh da hin. Du lernst auf der Bühne viel schneller als im Studierzimmer und wenn du irgendein Problem hast, oder wenn du irgendwas Wichtiges studieren musst, kommst du.“ Er hat quasi den Berufseinstieg für mich abgesichert. Und er hat mir oft geholfen bei Partien, bei denen ich mir nicht sicher war oder ich mich überfordert fühlte. Er hat dafür gesorgt, dass ich mir nicht wehtun würde.

“Glück gehört dazu”

Das hört sich nach vielen guten Zufällen an. Sind Sie Sonntagskind?
Es gehört tatsächlich wahnsinnig viel Glück dazu. Es gibt sehr viele Talente, die viel mehr mitbringen, als ich mitgebracht habe, und die irgendwo als Rohrkrepierer enden, weil sie dieses Glück eben nicht haben. Das muss man einfach so sehen, vor allem, wenn man hier singen darf. Glück gehört dazu.

Ist es für Sie eine Option, diese Hilfestellung jungen Leuten, die am Anfang ihrer Karrieren stehen, zu helfen und sie zu unterrichten?
Sporadisch tu ich das. Also es passiert hin und wieder, dass man um Rat gefragt wird oder auch einfach so mal Kollegen anzuhören. Aber ich habe keine systematische Unterrichtserfahrung, wie man einen Schüler gezielt von A nach B bringt. Das steht noch aus. Das kommt vielleicht auch mal irgendwann. Aber im Moment fehlen mir die zeitlichen Möglichkeiten.

“Gurnzemanz hat eben nicht viel zu lachen auf der Bühne”

Apropos Zeit. Können Sie eigentlich den Bayreuther Sommer bei Ihrem Terminplan genießen?
Oh ja. Also ehrlich, wenn man das Hobby so zum Beruf machen durfte… Und in meinem Fall ist das wirklich so. Ich hab schon ne Menge Spaß bei der Arbeit. Auch wenn das manchmal so bierernst aussieht. Aber ein Gurnemanz hat eben nicht viel zu lachen auf der Bühne. Ich bin sehr froh, dass alles so gelaufen ist. Und es ist wirklich etwas, was ich irrsinnig gerne tue.

Stichwort Ehrgeiz. Was streben Sie als nächstes an
Natürlich gibt es Partien, die mir noch bevorstehen, die ich gerne singe möchte. Aber das ist alles noch nicht spruchreif, weshalb ich darüber jetzt auch nicht reden werde. Aber ich hab noch allerhand vor. Da gibt’s einfach wahnsinnig viele schöne Partien und davon möchte ich mir natürlich nicht viel entgehen lassen. Aber alles zu seiner Zeit. Auch da erwies sich das Engagement an der Semperoper in Dresden als Glücksfall. Ich konnte immer, wenn eine Partie nicht geeignet war oder für mich zu früh kam, nein sagen.

Oft wird ja geklagt darüber, dass in der Branche großer Druck herrscht.
Genau. Und da ist es auch ein Glücksfall, so ein Haus im Rücken zu haben wie die Semperoper, die dann ausweichen kann, während ein kleines Stadttheater oft gar nicht die Möglichkeit hat, einen Gast zu engagieren oder eine Rolle anderweitig aus dem Ensemble zu besetzen. Dann MUSS eben der Kollege aus dem Ensemble etwas singen, auch wenn das noch nicht sein Ding ist. Dabei sind schon manche Stimmen auf der Strecke geblieben.

Regie: “Grundsätzlich für alles offen”

Gibt es bei Ihnen Gründe, Nein wegen der Regie zu sagen?
Grundsätzlich bin ich für alles offen was da kommt. In der Regel weiß ich auch schon, wer inszeniert. Aber die Regie war für mich noch nie ein Grund abzulehnen. Ich meine, es war ja auch nicht gerade konventionelle Regie zu erwarten als Jonathan Meese den Parsifal inszenieren sollte.

Hätten Sie das interessant gefunden?
Ich hätte das auf mich zukommen lassen. Wahrscheinlich, aufgrund meiner persönlichen Präferenzen, nicht mit dem optimistischsten Gefühl, aber ich hätte das auf mich zukommen lassen. Andererseits glaube ich schon, dass es Grenzen gibt. Ich würde nicht alles machen.

Was zum Beispiel?
Ich habe mir grundsätzlich überlegt, was geht, und was nicht geht. Ich würde nichts machen, wo ich davon ausgehen muss, dass es im Publikum Leute verletzt auf eine Weise, die nicht hinnehmbar ist, die auch nicht zu rechtfertigen ist durch das szenische Ergebnis. Ich erinnere mich an eine Situation in meinem ersten Engagement. Da wollte der Regisseur den Antisemitismus anprangern, was ein löbliches Unterfangen ist, aber er hat es auf eine Weise getan, die wahrscheinlich die Opfer von Repressalien stärker getroffen hätte, als die Täter. Und dann haben wir uns dagegen gewehrt und als der Regisseur uneinsichtig war, sind wir tatsächlich zum Intendanten gegangen. Am Ende wurde das dann anders gespielt. Wir waren sehr erleichtert. Ich finde, man darf auch auf einer Bühne nicht alles tun.

Was machen Sie als nächstes?
Aus vertragsrechtlichen Gründen darf ich manches noch nicht verkünden. Aber ich freue mich jetzt zu Beispiel auf Fürst Gremin in Eugen Onegin in Dresden. Das ist eine angenehme Partie. Die wunderschöne Arie hab ich mir schon zu Studienzeiten angeeignet und hab damit immer meine Vorsingen bestritten. Jetzt darf ich sie endlich zum ersten Mal vor Publikum singen.

Sprechen Sie russisch?
Kein Wort.

“Ich sprech auch kein russisch und werd’ Gremin singen.”

Sie haben ja mit Anna Netrebko in Dresden „Lohengrin“ gesungen. Sie hat nun freimütig zugegeben, vom Teleprompter abgesungen zu haben, weil sie sich Deutsch nicht merken kann. Wie sehen Sie das, dass man sich die Arbeit mit der Sprache spart?
Man muss das, glaube ich, in ihrem Fall vor dem Hintergrund sehen, dass sie sagt, so eine Partie lernt sie normalerweise in zwei Wochen und diesmal hätte sie sich exorbitante sechs Wochen Zeit genommen, um die Partie Elsa zu studieren. Das finde ich einen interessanten Gesichtspunkt, wenn man weiß, dass eine Muttersprachlerin, die diese Partie lernt, sicherlich ein Jahr vorher anfängt. Ich habe bei den Proben gestaunt, wie schnell sie Fortschritte gemacht hat. Also das ging wirklich irrsinnig schnell, dass sie sich der Sache angenähert hat und auch intuitiv erfasst hat, wo die Sprache hinwill. Ich kann darüber nicht groß meckern. Ich kann auch nicht russisch und werd Gremin singen.

Wie lernen Sie russische Partien?
Ich habe das phonetisch gelernt. Und ich habe auch schon den Pimen in Boris Gudonow phonetisch gelernt — eine Partie, die 40 bis 45 Minuten ohne Striche dauert. Das geht auch. Und wenn man das einmal gelernt hat, dann sitzt das wahnsinnig gut und lange im Gedächtnis.

Verstehen Sie da, was Sie singen?
Bei den zentralen Begriffen schon. Der Text muss ja irgendwie auch verstanden klingen und das hat auch funktioniert. Ich hab diesen Pimen für Bonn gelernt, doch dann hatte man sich entschlossen, die Partie mit einem anderen Sänger zu besetzen, weil ich zu jung sei. Und das nach diesem Riesenwust von Arbeit, um das drauf zu kriegen. So, jetzt hatte ich die Partie drauf und hab sie dann in einer einzigen Vorstellung singen dürfen, weil der Boris ausfiel, der Pimen diese Partie übernahm und ich einsprang. Mit viel Nerven ging das dann auch gut. Und dann kam ich kurze Zeit später als Einspringer ans Opernhaus Hannover und später noch einmal nach Düsseldorf. Dort gab es eine russische Souffleuse, die mich nach der Probe auf russisch ansprach, weil sie meinte, ich spreche die Sprache. Da war ich dann sehr geschmeichelt.

Dann haben Sie gut gelernt. Sind Sie Perfektionist?
Das muss man wohl sein, sonst wär das ja eine Zumutung für jeden Zuhörer.

Singe gerne Wagner, aber auch Lieder

Bei Ihnen wird die gute Textverständlichkeit besonders gelobt.
Also ich denke bestimmt, es gibt auch was zu kritisieren, wenn ich italienisch singe. Aber ich denke schon, dass man im Rahmen seiner Möglichkeiten doch sorgfältig sein muss. Ich würde darum nicht in einer Sprache, die ich nicht verstehe, Lieder singen.

Was Ihre Komponisten-Favoriten?
Es gibt da wirklich sehr Vieles. Also ich singe irrsinnig gerne Wagner-Opern… Im Prinzip singe ich alles gerne, was meinen stimmlichen Möglichkeiten entgegenkommt. Also kantable Partien auf der Opernbühne. Ich brauche nicht die Hau-Drauf Partien wie den Warlaam in „Boris Godunow“. Lieder singe ich sehr gerne. Aber: Zum einem finde ich selten die Zeit für eine sorgfältige Vorbereitung, auch wegen der Zusammenarbeit mit dem Klavierpartner; und dann müssen es halt Lieder sein, die ich schlichtweg singen kann. Die meisten Lieder sind für hohe oder mittlere Stimme komponiert, und man kann sie wegen des Klavierparts nicht beliebig weit herunter transponieren.

Pluspunkt für Bayreuth

Salzburg oder Bayreuth? Was ist Ihnen lieber?
Da stehen jetzt zwei Fettnäpfchen. Für welches soll ich mich jetzt entscheiden? Also das hängt natürlich immer von der Aufgabe ab. Es war schon auch toll, in Salzburg zu sein. Es kann beides sehr, sehr schön sein. Ich mag in Bayreuth die Atmosphäre am Haus, ich mag die Atmosphäre, im Ländlichen zu wohnen. In Salzburg war natürlich die tolle Bergwelt auch irrsinnig schön. Halt. Es gibt einen Punktvorteil für Bayreuth:  Man ist von hier aus schneller in Dresden, bei der Familie.

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