Standing Ovations im Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 10. August 2021

Puristen-Parsifal: Thielemann rockt

Nur ein „Konzert“ mit Christian Thielemann steht bzw. stand in diesem Jahr bei den Bayreuther Festspielen auf dem Programm. Die Aufführung am 10. August wurde ein Fest für den Dirigenten. Verdienter Balsam für die Künstlerseele.

Im Grunde dürfte der Abend ganz nach dem Geschmack von Thielemann gewesen sein: Die Sänger, da wo sie hingehören, in der Mitte der Bühne, wo sie sich voll und ganz, neben der Partie, auf ihn und seine Spontaneität der Musik konzentrieren können. Alle sind schwarz gekleidet, die Bühne schwarz. Keine Regie, keine Parallel-Geschichte, die erzählt wird und über die sich nach der Vorführung trefflich diskutieren lässt. 

Die Bayreuther Festspiele gönnen in so einem höchst seltenen konzertanten Fall immerhin der Bühne einen würdigen Hintergrund:  Multikünstler Philipp Fürhofer (Jahrgang 1982) gestaltet mit seinen Bildern angedeuteter Landschaften, die dank Spiegeln und Licht variieren, ein ausdrucksstarkes, fast meditatives Bühnenbild. 

Weihevoller Abend

Das ist die passende Begleitung für einen weihevollen Abend. Die Musik quillt bisweilen aus allen Poren des Festspielhauses heraus. Dabei hat Thielemann das Orchester so exakt hinter sich, dass niemals ein Klangbrei daraus wird. Nein, es ist Wagner vom Feinsten im Thielemann’schen Stile zelebriert. Da trillern die Flöten deutlich heraus, schneiden Geigen scharf wie Rasiermesser in scheinbares Idyll. Raum zum Schwelgen gibt sich Thielemann indes kaum. Es schwingt viel Melancholie in der Musik mit. Die Zaubermädchen sind keine schnatternde Schar, sondern elegisch, deutlich, fast nur den Zweck erfüllend, nämlich so zu tun, als wollten sie jemanden verführen. Wollen sie eigentlich gar nicht. Auch über der Annäherung von Parsifal und Kundry im zweiten Akt liegt extrem wenig Erotik, sondern kühle Berechnung. 

Diese Distanz mag der Aufführung ohne Inszenierung geschuldet sein. Wenngleich Petra Lang als Kundry ihr Bestes gibt, um etwas Schwung in den Laden zu bringen und temperamentvoll loslegt: An diesem Abend ist Emotion nicht gefragt. Das weihevolle Tempo kommt ihrer kehligen Stimme nicht entgegen. Und so bleibt ihre Kundry vor allem im zweiten Akt auf der Strecke. Auch wenn sich die Sängerin alle Mühe gibt – ihr Abend ist das nicht. 

Denn wir befinden uns in einer Messe, was sich am ersten Akt mit einer Dauer von einer Stunde und 40 Minuten zeigt. Das hat selbst Thielemann schon wesentlich schneller hingekriegt. Im zweiten Akt „überzieht“ er nochmal deutlich. Es scheint, als würde er jeden einzelnen Takt auskosten, jeden Ton genießen auf „seinem“ Platz im legendären Graben des Bayreuther Festspielhauses.  

Volle und Zeppenfeld glänzen

So kommt es, dass im ersten Akt der noble Bass von Georg Zeppenfeld leicht unter die Räder zu geraten droht. Nur droht. Zeppenfeld ist ein Gurnemanz zum niederknien, sicher in allen Lagen, elegant in der Stimme, als wäre das alles ganz leicht. Für diese großartige Sangeskunst und als Sängerpersönlichkeit wird er auch hier (wie im Holländer und bei den „Meistersingern)  zurecht gefeiert.

Ungewöhnlich, dass Amfortas plötzlich ein Star einer Parsifal-Aufführung ist. Michael Volle gelingt es aber mit einer ungeheuren Dramatik in der Stimme, trotz fehlender Szene einen tatsächlich Leidenden zu bieten – keinen aus allen Poren blutendenden Nölenden. Dass er gefeiert wird – kein Wunder. 

Wenn schon Purismus auf der Bühne herrscht, dann wird wenigstens in der Besetzung das Füllhorn ausgeschüttet. In diesem Fall leisten sich die Bayreuther Festspiele einen nicht sichtbaren Günther Groissböck, der edel den Titurel aus dem Hintergrund hervorschwelgen lässt. Er hätte sicherlich auch sehr viel Beifall bekommen – doch zum Schlussapplaus ist er schon nicht mehr da. Und die „Wagnerianer“, die zu diesem Parsifal gekommen sind, verbieten sich natürlich ein Klatschen nach dem ersten Akt. Das hat angeblich Richard Wagner so gewollt – und hält sich hartnäckig, wenngleich Experten sagen, dass das völliger Unsinn ist. Aber: Bei dieser Messe wird das durchgezogen. Keine einzige Beifallsbekundung stört die Stille. 

Zur Top-Besetzung zählen außerdem Derek Welton als Klingsor sowie Tansel Akzeybek und Timo Riihonen (Gralsritter), Alexandra Steiner, Simone Schröder, Martin Homrich und Attilio Glaser (Knappen) und als Zaubermädchen Tuuli Takala, Katja Stuber, Simone Schröder  (außerdem „Eine Altstimme“), Alexandra Steiner, Bele Kumberger und Marie Henriette Reinhold.

Stephen Gould hat mit dem Parsifal vielleicht nicht die Partie seines Lebens gefunden, ist auch zurzeit gut eingedeckt mit Rollen, inklusive Kinderoper und Tannhäuser.  Natürlich wuppt das Stimm-Kraft-Paket auch diese Aufgabe, hört sich jedoch zeitweise etwas müde an. Dem Umstand kommt weihevolles Tempo aus dem Graben nicht unbedingt entgegen.  

Christian Thielemann will feiern – sich, die Musik, das Orchester. Alles, alle. An diesem einen Abend. Das gelingt in weiten Teilen grandios mit viel Gänsehaut, vor allem in den orchestralen Stellen, die dieses „ Bühnenweihfestspiel“ im Überfluss bietet. Hier macht sich die rege Konzerttätigkeit Thielemanns in den langen Monaten des Lockdowns bemerkbar: Wenn sich im ersten Akt der Vorhang schließt zur „Wandlung“ und das Orchester auf sich – und Thielemann – gestellt ist, wähnt man sich tatsächlich in einer Art Messe. In diesen Kontext passt der Chor aus dem Off. Hier wird nicht übertüncht, dass der Chor schlicht nicht da ist. Er singt Pandemie-bedingt im Chorsaal und es fällt nicht auf, dass es 60 perfekt ausgesteuerte Boxen sind, die den Gesang der Damen und Herren unter der Leitung von Eberhard Friedrich ins Festspielhaus übertragen. Ein Dauerzustand kann das freilich nicht sein. 

Am Ende ist es ein Fest für Thielemann. Seine Fans applaudieren, jubeln, trampeln – übrigens auch für Georg Zeppenfeld und Michael Volle. Eine Dame kommentiert den Jubel leicht pickiert: „Das ist ja wie im Rockkonzert.“ Das ist nicht einmal falsch. Thielemann hat das Festspielhaus gerockt.

Ohne Szene, ganz puristisch. Eigentlich ist das eine sehr charmante Idee, die sich fortsetzen lässt. Puristen gibt es schließlich immer. Sie müssten dann auch nicht die Augen vor einer Inszenierung schließen. So etwas ist natürlich nur als bewusste Einzelaktion denkbar. So, wie in diesem Fall. Denn freilich kann Oper ohne Regie und sinnige Gedanken zum Stück nicht  die Zukunft sein. Als Gegenbeispiel lässt sich hier vor allem Tannhäuser mit dem Regie-Bühne-Video-Trio Kratzer, Sellmaier, Braun nennen. Übrigens wäre es auch schön, wenn ein großartiges Regiestück einmal von einem großartigen Dirigenten wie Thielemann geleitet wird. Dieser Parsifal war eine Ausnahme in jeder Beziehung. Und ohne Regie absoluter Luxus für die Ohren. 

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