Dr. Sven Friedrich, Direktor des Richard-Wagner-Museums, Bayreuth

Ein paar Takte zur Regie: Lohengrin

Mensch-Ratte, Ratte-Mensch: Das Experiment von Hans Neuenfels in Lohengrin. (Foto: Bayreuther Festspiele, Enrico Nawrath)

Der Skandal von heute ist der Kult von morgen, amüsiert sich Sven Friedrich über den Erfolg von „Lohengrin“, zweifelsfrei das Lieblingsstück des Bayreuther Publikums. Nach Friedrichs Meinung auch zurecht, wenngleich die Geschichte  „ein schönes Beispiel für die Kultmechanismen in Bayreuth“ ist. Also: Der Ablehnung folgt Jubel.  So erlebt bereits beim  Schlingensief-Parsifal oder dem „Tristan“ von Heiner Müller.

Jetzt also „Lohengrin“ in der Inszenierung von Hans Neuenfels („Ein Theatermacher allererster Güte“). Der Regisseur komme, so Friedrich, aus einer „anderen ästhetischen Tradition als die bereits genannten“. Neuenfels sei ein Mensch,  der ein geradezu „erotisches Verhältnis“ zu Texten habe, weshalb dieser Lohengrin stark hermeneutisch geprägt ist, also gedeutet werden soll und kann, wenngleich der Lohengrin nicht als Schwanenritter auftritt. Es handelt sich um ein „Laborexperiment über die Liebe und über die Menschlichkeit“.

Im Labor gibt es Ratten. Hier sind es Mensch-Ratten oder Ratten-Menschen, welche die Frage aufwerfen: Wieviel Mensch ist im Tier, wieviel Tier ist im Menschen? Der Vergleich sei berechtigt: „Denn Mensch und Ratte haben vieles gemeinsam: Sie sind sozial, sie sind hochintelligent, vermehrungsfreudig und fressen alles.“ In „Lohengrin“ werden die Ratten menschlich, auch wenn sie die Attribute wie ihre Schwänze behalten, und sie verwandeln sich wieder zurück.  „Dieses Changieren zwischen Mensch und Tier spielt eine enorme Rolle. Da wird der Mensch als Mensch in seiner Gesellschaftlichkeit sehr schön kenntlich“, erklärt Friedrich.

Der Bayreuhter „Lohengrin“ besticht aber zudem durch die  „exquisiten Bilder“ von Bühnen- und Kostümbildner  Reinhard von der Thannen mit ihrer „kühlen, klaren, hochglänzenden Haptik“. Hier erinnere vieles  an die Stilisierungen von Wieland Wagner, „obwohl es natürlich nicht diese archaische Psychologie hat, sondern mit sehr konkreten Bildern arbeitet, wenn man zum Beispiel an den zweiten Akt mit dem toten Pferd denkt. Aber es gibt keine Konkretschauplätze, sondern es wird einfach mit diesen Versatzstücken gearbeitet“, sagt Friedrich.

„Lohengrin“ glänzt ebenso durch Comic und Slapstick: „Diese Intermezzi mit den Ratten sind natürlich witzig – und auch die Zuspielung der drei Wahrheitsvideos – hier ist Neuenfels Dialektiker, alter Schule kann man fast sagen“, schwärmt Friedrich.

Jedoch: Es gibt kein Happy End. „In meinen Augen ist der Lohengrin wirklich die einzige  vollendete Tragödie Richard Wagners“, analysiert der Experte. Denn in allen anderen Werken “gibt es sozusagen diese metaphysische Utopie der Erlösung“. Nicht so beim Lohengrin:  „Das  Prinzip Hoffnung fehlt. Am Ende sind alle tot: Elsa ist tot, Ortrud ist tot und der Lohengrin muss zurück zum Gral. Der Gottfried steht am Ende da und hat nichts mehr, worüber er herrschen kann“, deutet Friedrich den Schluss und dieses  hässliche Etwas, das aus dem Ei schlüft,  eine „Mensch-Vogel-Chirmäre. Man könnte das als Symbol eines missglückten Gen-Experiments werten“, stellt Friedrich fest und zieht eine Parallele zur Gendebatte: „Darf sich der Mensch zum Schöpfer erheben? Dürfen wir Chimären schaffen, Wesen mit reduziertem Chromosomen-Anteil als Arbeitshaustier – das wäre theorotisch heute durchaus denkbar?“  Diese „Mensch-Vogel-Chimäre mit dem Dottersack, die aus dem Ei schlüpft“ zeigt also den Gottfried als neuen Herrscher, als die Vision von Zukunft. Und Lohengrin tappt weiter, ins Leere. Den Schluss nennt Friedrich übrigens „einen  phantastischen Einfall von Neuenfels“, um die Buhs („ein fast widerliches Phänomen“) im Zaum zu halten. Es funktioniert meistens.

Friedrichs Fazit:  „Hier glaubt man wieder an ästhetische Erziehung: Im ersten Jahr Verstörung und heftigste Ablehnung. Und inzwischen sind die Ratten und die Bühnenbilder von von der Thannen Kult.“ Friedrich ist von Aussage und Choreografie auf der Bühne begeistert: „Das finde ich unglaublich toll, dass hier Pathos möglich ist, ohne, dass es pathetisch wird. Herr Neuenfels – Chapeaux, da ist ein großes Werk gelungen.“


Ein Interview mit Lohengrin-Sänger Klaus Florian Vogt lesen Sie hier: https://www.festspieleblog.de/2014/08/klaus-florian-vogt-keine-angst-vor-meese/

Den Premierenbericht hier: https://www.festspieleblog.de/2014/08/lohengrin_laeuft/

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