Schlussszene Tannhäuser 2021, Bayreuther Festspiele, Inszenierung von Tobias Kratzer

Tannhäuser inklusive Teststation

Wenn diese Pandemie irgendetwas Gutes in die Gesellschaft gebracht hat, dann ist es Dankbarkeit. Das ist bei den Bayreuther Festspielen seit drei Tagen nicht nur spür- sondern vor allem hörbar. Getrampel, Jubel – ausgedrückte Freude über wieder live erlebte Kultur, nach jedem Akt! Am Montag (26. Juli) bei den Meistersingern („nur“ im Radio gehört, Besuch für die Abschiedsvorstellung geplant), am Dienstag (27. Juli) bei Tannhäuser. Weg ist sie, diese früher oft gesehene satte Bräsigkeit, in der Spitzenleistungen gnädig goutiert wurden. Jetzt freut man sich einfach – über erste Sahne freilich.

Als am Ende der ersten „Tannhäuser“-Premiere bei den Bayreuther Festspielen der Vorhang fällt und die Solisten zum Applaus antreten, ist der Jubel zwar groß, aber die große Emotion wartet auf Entladung. Man wartet auf die Regie. Wann hat es das zuletzt gegeben, dass das Regieteam – in diesem Fall Tobias Kratzer, Bühnenbildner Rainer Sellmaier und Video-Künstler Manuel Braun – den meisten Applaus einfährt? Üblicherweise, erst recht vor Corona, bekommt die szenische Umsetzung einen Kübel voller Buhs ab. Nun war die Inszenierung schon vor der Zwangspause 2020 zurecht viel gelobt worden. Mittlerweile ist sie als „Oper des Jahres“ unter anderem hochdekoriert. Und der Witz, der Charme, die Intelligenz dieser Tannhäuser-Inszenierung reißen sprichwörtlich vom Sitz. Ab dann werden auch die Sängerleistungen deutlich lautstärker honoriert.

Freiheit auch im Park eingeschränkt

Kratzer, Sellmaier, Braun haben den Corona-Wahnsinn in die Inszenierung mit eingebaut und das Kunststück geschafft, witzig, aber nicht platt zu sein. Im Programmheft kündigt Tobias Kratzer an, die besonderen Umstände zu berücksichtigen. Denn diese konterkarieren geradezu seine Idee, „Frei im Wollen, Frei im Thun, Frei im Geniessen“ – ein Zitat von Richard Wagner, als „Leitmotiv“ umzusetzen. 

Denn die Freiheit ist zurzeit recht eingeengt. Im Festspielpark findet die „Tümpelshow“ eben nicht für alle auch außerhalb des Festspielhauses statt. Dabei war das der Sinn und Zweck dieser  Veranstaltung, die „elitären“ Festspiele unters Volk zu bringen. 2021 ist das Gelände umzäunt, kein Zutritt ohne Karte. Es herrscht auch dort Maskenpflicht. Das ist alles nicht dramatisch und Absage die Alternative. Aber so sieht Freiheit halt leider nicht aus.

Zwei Welten stehen sich gegenüber: Tannhäuser 2021, Bayreuther Festspiele
Bayreuther Festspiele 2021; Tannhäuser; Insz.T.Kratzer, © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

 

Die Anarchisten am See sind jedenfalls sauer. Zumindest weiß man nicht, spielt Venus hervorragend dargestellt von Ekaterina Gubanova diese Wut nur oder ist sie echt; auch Manni Laudenbach alias Oskar drischt in seinem Schlauchboot sitzend auf seine Trommel ein und verliest brüllend Freiheits-Manifeste. Tänzer Kyle Patrick bleibt da lieber in seiner Traumtänzerwelt und planscht auf seiner Luftmatratze im See. Patrick wird im Besetzungszettel in Klammern unter Le Gateau Chocolat aufgeführt. Die britische Dragqueen, auch das ist aus dem interessanten Interview mit Tobias Kratzer im Programmheft zu erfahren, ist in seiner Reisefreiheit eingeschränkt und kann deshalb Großbritannien nicht verlassen. Corona eben. Weil das alles immer wieder deutlich wird, hat die Show ihren Zweck erreicht. Man fühlt sich nicht wie 2019 erheitert von der lustigen Anarchie der Truppe, sondern schmerzlich erinnert, dass eben nichts ist, wie es war. Auch das ist eine großartige Leistung der Regie. Sie legt den Daumen in die Wunde, wird dabei aber nicht moralinsauer. 

Auch 2021 darf schallend gelacht werden. Dafür sorgen die genial weitergedrehten Videos von Manuel Braun. Die Fahrt des Oldtimer-Citroen mit Hasen obendrauf führt von der Wartburg wieder durchs Fränkische. Diesmal geht es aber nicht vorbei an der Biogasanlage aus der Vorgänger-Inszenierung. Jener Gag ist verpufft, wenngleich sicher niemand böse gewesen wäre, wenn die Video-Fahrt zum Tannhäuser-Vorspiel nicht erneuert worden wäre.  Jetzt passiert das Fahrzeug: eine Teststation mit in Schutzausrüstung gekleidetem Personal. Wie im richtigen Leben. Die lässig aufs Fahrzeug hingepatschte grüne „TÜV-Plakette“ negativ, beschreibt sicher auch das Gefühl der Mitwirkenden der Bayreuther Festspiele.

Die müssen jeden Tag, bevor sie das Gelände überhaupt betreten dürfen, ins Zelt, sich wahlweise in Rachen oder Nase popeln lassen, im Warteraum Platz nehmen, ehe sie mit dem Negativ-Bescheid ausgestattet eingelassen werden. Im Grunde wäre das ja per se kein Problem. Aber Kunst und strenges Reglement sind ein großer Gegensatz.  Es gibt heuer keine zufälligen Begegnungen, kein Hallo, kein gemütliches Beisammensitzen. Da fehlt ein wesentlicher Bestandteil des Bayreuther Sommers – bei aller Dankbarkeit, wieder auftreten zu dürfen. Aber Künstler mögen das nicht. 

Kunst-machen-Wollen

Jetzt entlädt sich dieses Kunst-machen-Wollen extrem und umwerfend auf der Bühne. Schon im Premierenjahr hatte es daran keinerlei Kritik geben können. In diesem Jahr ist man schlicht dankbar, zu diesen 911 zu gehören, die das erleben dürfen. Der subjektive Superstar: Lise Davidsen, eine sympathische junge Frau, gesegnet mit einer Stimme, die selbst im Pianissimo das riesige Haus füllt. Ihr Sopran ist im Vergleich zu vor zwei Jahren extrem gereift. Und von Nachteil ist sicher auch nicht, dass sie extrem schön anzuschauen ist und zeigt, dass man mit Heilig-sein  allein auch nicht weiterkommt.

Eine große Freude sind auch die Herren: der schmelzend-verletzte Bariton von Markus Eiche ist einfach großartig, ebenso, wie er den Inbegriff der Verklemmtheit zeigt. Nun zählt der „Abendstern“ an sich ja zu den Wagner-Hits. Aber Eiche entreißt ihn der Schönheit und singt ihn in einer unvergesslichen Anrührung.

Neuer Dirigenten-Gag

An Stephen Goulds Tenor zeigt auch nach der langen Pause keinerlei Ermüdungserscheinungen. Ein Pracht-Tannhäuser ist er auch diesmal. Dazu hat man den Eindruck, er hat auch viel mehr Spielfreude entdeckt.

Erleichtert nahm Günther Groissböck seinen Applaus für den Landgrafen Hermann entgegen. Sicherlich kein leichter Schritt für ihn an diesem Abend, dem ersten großen Auftritt nach seiner spektakulären Absage als „Wotan“, auf den er sich eigentlich seit Jahren vorbereitet. Es muss ein harter Schritt für den Erfolgsverwöhnten gewesen sein. Doch das Publikum bei Tannhäuser tröstete ihn mit großem Applaus.

Auch der „Neue“ am Pult des Orchesters der Bayreuther Festspiel wird gefeiert: Axel Kober ist kein Sternstunden-Zauberer, aber ein Orchesterleiter, der eine solide Leistung abliefert. So auch in diesem Fall. 

Sein Vorgänger, Valery Gergiev, wird übrigens im Video Zielscheibe der kleinen Boshaftigkeit im berühmten Dirigentengang. Beim „Sturm“ aufs Festspielhaus der drei Anarchisten Venus, Oskar und Le Gateau Chocolat war bei der Premiere Christian Thielemann mit einem schwärmerischem Kusshändchen der Dragqueen bedacht worden. Die Sequenz ist aktualisiert: an der Wand steht ein Gergiev-Bild, das auf Aufhängung wartet, davor ein Zettel „Komme etwas später!“. Der Saal brüllt vor Lachen – das tut gut.

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