Am Ende sind Mutter und Sohn glücklich vereint – als Cola schlürfender Siegfried und Bratwurst verdrückende „Cosimama“ – unter dem berühmten Königsportal des Bayreuther Festspielhauses. Ein bedrückender Ort, vor allem in der Folgezeit, nach Siegfried Wagners plötzlichem Tod 1930. Kein Ort für ein Happy End in C-Dur. Es wird laut, bedrückend laut im „Reichshof“ Bayreuth, wo „Siegfried“ seine Uraufführung erlebt. Siegfried ist das Auftragswerk der Bayreuther Festspiele 2019, das Feridun Zaimoglu und Günter Senkel für die Reihe „Diskurs“ geschrieben haben.
Es ist eine Auseinandersetzung mit dem „Meistersohn“, der wohl stets mit dieser Last gehadert hat, als Mensch wie als Künstler, darüber aber auch durchaus opportunistisch gehandelt hat. Ausgangspunkte sind zwei Briefe, einer von 1914, einer von 1930, geschrieben wenige Tage vor seinem Tod.
Dazwischen haben Zaimoglu und Senkel einen „Monolog“ für zwei verfasst. Siegfried Wagner mit Alter Ego: Felix Axel Preißler und Felix Römer ergänzen sich wie eineiige Zwillinge, die sich drängen, schelten, verunsichern, repetieren oder vollenden, bis zum letzten gestotterten „V“—„ater“, weil der Übermensch, Richard, scheinbar nur etappenweise angesprochen werden kann. Er bemüht sich, aber diese Ansprüche kann er niemals erfüllen. Schon gar nicht die der „hohen Frau Mutter“, die hier eine wesentlich bedeutendere Rolle spielt als Winifred, Siegfrieds Ehefrau und Mutter seiner vier Kinder.
Nein, die Mutter treibt ihn an, mit erschlagenden Sätzen wie „Du hast mich fast gesprengt“, wie sie ihm ihre Schwangerschaft mit ihm vorhält, und dass es „Gottes Wille“ sei, das Erbe des Vaters zu übernehmen. Wer sich unter solch pädagogisch zweifelhaften Umständen zu einem selbständigen Ich entwickeln kann, fällt in die Kategorie Wunder. Siegfried Wagner war es nicht. Auch das behandelt das Stück: Er hat sich des „göttlichen Erbes“ angenommen, den Familienzweig aufrechterhalten ebenso Vaters Andenken, respektive die Festspiele. Er hat dafür geschuftet – bis zum Umfallen, im wahrsten Sinne des Wortes. Siegfried Wagner starb am 4. August 1930 im Alter von gerade einmal 61 Jahren.
Mit scheinbar einfachen Mitteln schlüpfen die “Siegfriede” Preißler und Römer in neue Rollen, ziehen sich neben der Bühne im Halbdunkel um, zeigen sich nackt bis auf Feinripp-Unterhose und -Hemd, und das Gesicht bis auf die letzte Pore.
Ein tatsächlicher Diskurs, auf den man sich freilich einlassen muss. „Siegfried“ ist kein Stück, das – wie es in der Ankündigung heißt – als Monolog geführt wird. Es wird getobt, geschrieen, geflüstert, gewispert, gekreischt und gelacht, ge- und verzweifelt. Videoprojektionen und Licht sowie manchmal enervierende Soundeffekte unterstreichen den Zweispalt.
Das Stück beginnt einfach. Noch während in den Reihen des „Reichshofs“ geplaudert wird, beginnt Schlag 20 Uhr die Geschichte: Zwei Menschen, als „Gespenster“ mit Bettlaken verhüllt, geistern im Schwarzweiß-Film durch die Villa Wahnfried. Eine Frauenstimme ist zu hören. Nach und nach verstummen die Gespräche, geht der Blick vom Handy auf die Bühne, wird es dunkel im Saal. Man hört, dass die Frauenstimme die von Winifred Wagner ist, die von ihrem Schwiegervater und ihren Mann erzählt.
Bei Zaimoglu/Senkel spielt indes Mutter Cosima die tragende Rolle, deren Wille den einzigen Sohn Richard Wagners lenkt, nicht die Ehefrau, die als Witwe ihre eigene Wagner-Show kreierte. Es ist keine Verteidigung des Meister-Sohns, denn auch er hat seinen eigenen Antisemitismus gepflegt.
Es sind zwei durchaus anstrengende Stunden, die keine Pause vertragen würden. Ratsam ist in jedem Fall der Besuch der Einführungsveranstaltung mit den Autoren um 19.15 Uhr. Die Texte sind auch noch einmal im Programmheft nachzulesen, um das Stück Revue passieren zu lassen.
Das zweite Auftragswerk der Bayreuther Festspiele wird – im Gegensatz zur Vorjahresaufführung – mehrmals in der Festspielzeit gezeigt. Premiere war am 13. August; weitere Aufführungstermine sind der 15., 19. und 21. August 2019 jeweils um 20 Uhr auf der „Kulturbühne Reichshof“ (Maximilianstraße 28). Und: Der Eintrittspreis für diese hochwertige Produktion ist äußerst publikumsfreundlich (27 €, freie Platzwahl). Mehr auf der Homepage der Bayreuther Festspiele.