Tannhäuser mit Publikum: Sebastian Baumgarten holt Zuschauer in der Bayreuther Inszenierung auf die Bühne. Foto: Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

Auf der Tannhäuser-Bühne

Tannhäuser mit Publikum: Sebastian Baumgarten holt Zuschauer in der Bayreuther Inszenierung auf die Bühne. Foto: Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

Geht es nach den Kartenprofis, die Tag für Tag vor Vorstellungsbeginn vor dem Festspielhaus auf und ab gehen und auf ein Schnäppchen hoffen, sind die Reihen bei „Tannhäuser“ leer – zumindest spärlich besetzt. Will doch niemand sehen, sagen sie.

Erstaunlicherweise sind dann aber doch alle Plätze besetzt, als am Montagabend das Licht im Festspielhaus ausgeht zur vierten Tannhäuser-Aufführung in dieser Saison. Und obwohl draußen, bei unseren Kartenfreaks, viel geschimpft wird, ist auch nichts bekannt, dass es bei den drei vorherigen Aufführungen anders gewesen sein soll.

Leere Plätze könnte man Festspielhaus nicht so gut sehen, von der Bühne aus jedoch schon. Es war Regisseur Sebastian Baumgartens Idee, Publikum auf die Bühne zu holen, um die Barriere zwischen denen dort unten und denen dort oben abzubauen. Aus gutem Grund, wie sich im Laufe des Abends auch zeigen wird. Denn alle gehören zum Spiel und niemand, auch nicht in der hintersten Statistenreihe, kommt damit auf die Idee, geistig auszusteigen.

Auch als Zuschauer auf der Bühne – die Karten werden über TAFF, Team aktiver Festspielförderer, vergeben – gehört man gern dazu und konzentriert sich, schließlich passiert es, dass die Sänger auf uns zukommen. Da möchte man nicht abwesend wirken. Und  wann kommt man schon in den Genuss, sich als Teil einer Bayreuther Inszenierung fühlen zu können, ohne irgendetwas dafür tun zu müssen? Nicht mal begeistert sein muss man (darf aber). Die Höflichkeit – zumal vor 2000 Zuschauern – gebietet es, sich ruhig zu verhalten, nicht mit dem Nachbarn zu ratschen und wie in den Reihen auch (die ungepolsterten Holzstühle sind übrigens fast bequemer als ein normaler Platz) nicht weiter zu lärmen, zum Beispiel durch Bonbonpapierrascheln. Ausdrücklich verboten  sind Handys, Fotoapparate, Handtaschen, außerdem wegen der dunklen Gänge bis zum Bühnenplatz aus Sicherheitsgründen Schleppen an Kleidern und Hochhacken an den Schuhen.

Auch wenn man den Tannhäuser in dieser Inszenierung schon einige Male aus Bühnen- und Zuschauerraumperspektive gesehen hat: Er macht mittlerweile richtig Spaß. Fast schade, dass er nächste Saison abgesetzt wird. Freilich hat die Inszenierung nach wie vor ihre Macken, indem selbst auf besten Plätzen im Zuschauerraum vieles nicht zu sehen ist, weil dauernd irgend ein Teil der riesigen Installation im Weg ist.

Aber: Musikalisch ist das Stück ein Hochgenuss, auch auf den akustisch ungünstigen Bühnenplätzen. Wenn der Chor vor uns Einsatz hat, ist das Orchester sehr, sehr weit weg. Jedoch  ist es ein Erlebnis, diese Perfektion vor sich zu haben und zu hören.

Dass das Spiel der Sänger in der Beurteilung zu kurz kommt, beklagte Dirigent Axel Kober im Interview mit festspieleblog.de Und da hat er völlig recht.

Denn das ist keine statische Darstellung, die wir hier sehen:  Statisten, Chor wie Solisten leben diese durchgeknallte Gesellschaft der Gleichförmigkeit – witzig, wenngleich wohl nur auf der Bühne zu sehen, wenn die Chorsänger allesamt  nervös mit den Fingern auf ihre bunten Lederhosen (bestes Autoleder) trommeln. Synchronisiert durch die Gleichheit ist längt auch die Bewegung der Sängerrunde. Alles ist ein Kreislauf, alle sind im Kreislauf. Elisabeth ist schon übergeschnappt und schwebt und torkelt entsprechend hysterisch durch die Szene. Ach ja. Und sie wird auch nicht mehr wie in den Vorjahren von Wolfram in die Biogasanlage zurückgeschubst, sondern begibt sich freiwillig hinein und will hier auch nicht mehr raus. Nur wenige Minuten später springt die Tür auf und eine Statistenhand ragt heraus. Ob das aber im Zuschaurraum ankommt?

Wem dies alles nicht gefällt, dem bleibt die musikalische Leistung dieses wunderbaren Wagner-Werks, das zwar in seiner Aussage etwas undeutlich bleibt, nicht aber in seiner Musik. Selbst wenn auf der Bühne nicht die optimale Hörakustik herrscht: Es ist ein großartiges Ensemble, das sich in diesen vier Jahren herausgebildet hat. Camilla Nylund ist nicht nur schön anzuschauen, sondern eine großartige Sängerin und Darstellerin. Nur Torsten Kerl als Tannhäuser ist die Mühe der Partie anzuhören. Geradezu eine Entdeckung ist Markus Eiche als neuer Wolfram von Eschenbach, der die Rolle von Michael Nagy übernommen hat. Großartig. Kwangchul Youn ist mittlerweile die Allzweckwaffe in Bayreuth: Hunding in Walküre; in dieser Saison außerdem Daland im „Holländer“ – Vorjahr Franz-Josef Selig –  und jetzt auch noch der Landgraf (Vorjahr Günther Groissböck).

Der „Tannhäuser“ kann allen Unkenrufen zum Trotz und vielleicht, wenn man sich auch mehr mit den Ideen von Regisseur Sebastian Baumgarten auseinandersetzt, gemocht werden. Egal, nächstes Jahr wird das Stück abgesetzt. Ob’s die Kartenjäger vor der Tür freut?  Ein 200-Euro-Ticket habe er schon für 50 Euro kurz vor Vorstellungsbeginn ergattert, erzählt einer. Reingegangen ist er, „gefallen hat’s mir nicht.“  Er war aber, ebenso wie drei seiner Kollegen, auch am Montag wieder da – trotz Tannhäuser. -ek


Das Interview mit Axel Kober finden Sie hier: https://www.festspieleblog.de/2014/08/kober_interview/

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