Bei den Bayreuther Festspielen 2025 überraschen „Die Meistersinger von Nürnberg“ mit Leichtigkeit, Witz und einem spielfreudigen Ensemble. Regisseur Matthias Davids verzichtet bewusst auf Tiefenpsychologie – und liefert stattdessen ein Fest der Farben mit hervorragender Choreografie und großartigen Bildern. Seinen Regieansatz hatte Davids im Vorfeld angekündigt. Wer hingehen und einfach nur genießen will, der ist bei diesen „Meistersingern“ richtig.
Bayreuth 2025: Zwei Überraschungen zum Auftakt:
Zwei Überraschungen gleich zum Beginn: Erstens – die Ouvertüre ist einfach eine Ouvertüre. Keine Bühne, keine Szene, der Vorhang ist zu – es gibt nur Musik. Zweitens – eine Oper beginnt per se pünktlich, vor allem wenn sie live übertragen wird. Punkt 16 Uhr. Dass Dirigent Daniele Gatti schon loslegte, auf der linken Seite aber noch Leute eingelassen werden, die zu spät dran sind, das war bislang undenkbar. Diesmal rumpelte es gewaltig, leuchteten Taschenlampen der „Blauen Mädchen“, die sich bemühten, das Chaos noch zu ordnen. Es dauerte geraume Zeit, bis Ruhe war im Saal.
Die Meistersinger Bayreuth 2025: Gatti bricht mit dem Wucht-Sound
Eine Ouvertüre mit Wums und Wucht hätte solches Getöse vielleicht noch einigermaßen übertüncht. Aber Dirigent Daniele Gatti will offensichtlich keinen Klangrausch – und bleibt konsequent bei dieser Linie. Er setzt auf feine Strukturen und italienisch durchhörbare Phrasierung. Überraschend? Vielleicht. Hörenswert? Durchaus, wenngleich er mit seinen Tempi den Sängerinnen und Sängern das Leben zum Teil sehr schwer macht und Chor und Orchester auch mal kurz auseinanderfliegen.
Daniele Gatti und das Festspielorchester
Aber das Orchester zeigt – wie schon beim Open-Air-Konzert mit Pablo Heras-Casado am Vorabend – höchste Qualität und Spielfreude. Insofern ist es eine interessante Erfahrung, hier einzelne Instrumentengruppen und -passagen herauszuhören. Gatti lässt kammermusikalisch fein musizieren. Und auch hier hört man die Flexibilität und Eleganz des Orchesters, die Lust darauf, Wagner zu spielen – und das Können, dies auch zu tun. Freilich, gerade bei den „Meistersingern“ kann man eine andere Lesart voller Wagner-Wucht erwarten, aber rein subjektiv hat auch diese Version viel Vergnügen bereitet.
Bühne, Bilder, Beckmesser – starke Typen
Der erste Blick auf die Bühne: Eine Kirche, weit oben, erreichbar nur über eine lange Treppe. Wer sie erklimmt, braucht trittsichere Beine und gute Kondition. Eva (Christina Nilsson) wirft ihrem Stolzing (Michael Spyres) Papierflieger entgegen – ein neckischer Liebesgruß von oben. Die Treppe wird später Teil der Kulisse mit der Lehrbubenstube und den Meistern. Die nehmen – kleiner Bühnenwitz – auf denselben Stühlen wie das Publikum gegenüber Platz. Das erste Treffen der Meister ist eine Dorfvereins-Sitzung: Jeder hat etwas mitgebracht, wie das so üblich ist auf dem Land: Jeder stellt was hin, Brot, Wein, einen Party-Igel – Sixtus Beckmesser -, Hans Sachs steuert ein Glas Gurken bei.
Überhaupt ist das alles mehr Revue als statisches Operntheater: choreografierte Schilder, getaktete Bewegungen, ein flottes Spiel mit Formen und Figuren.
Meistersinger Bayreuth 2025 mit gelungenen Debüts
Und mit neuen Gesichtern: David etwa: Matthias Stier, ist jugendlich und frech, wie er sein soll – und singt auch so. Christina Nilsson als Eva überzeugt mit einem klaren, strahlenden Sopran, der sich mühelos in die Höhe schraubt – ohne forciert zu wirken. Und auch sonst bleibt niemand blass. Veit Pogner, Jongmin Park, überzeugt mit warmem Timbre im ersten Aufzug, etwas blasser im dritten, aber insgesamt vielversprechend.
Ein Glanzpunkt: Michael Nagy als Beckmesser. Kein Witzbold, kein Dummkopf, sondern ein gescheiterter Einzelgänger, der mit Herzerl-Gitarre sich als Popstar versucht, sich am Ende aber wortlos aus dem Staub macht. Gesungen wird das mit großer Selbstverständlichkeit, ohne Gekreische, mit schöner Stimme. Sehr angenehm!
Und dann natürlich Michael Spyres als Stolzing – souverän, mühelos, strahlend. Evas fliegt ihm wohl zurecht zu. Georg Zeppenfeld als Hans Sachs: vokal stark, textverständlich wie eh und je. Man merkt: Das ist ein Sänger, der seine Linie kennt. Trotzdem wirkt es vor allem am Anfang, als wolle er mit dieser Partie nicht so recht warm werden – bis zum dritten Aufzug, seiner Szene, da blüht er auf. Das Publikum jubelt verdient.
III. Aufzug: Georg Zeppenfeld (Hans Sachs), Christina Nilsson (Eva), sie ist verkaufsgerecht geschmückt und umkränzt. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele
Unbedingt erwähnenswert ist – das Quintett. Hier verzichtet der Regisseur dankenswerterweise auf jedwede Action und Gaudi, Bühnenbildner Andrew E. Edwards, der tolle Bilder geschaffen hat, lässt die Schusterstube einfach Schusterstube sein. Denn hier zählt einzig die Musik: Christina Nilsson, Georg Zeppenfeld, Michael Spyres, Matthias Stier und Christa Mayer (Magdalene) gelingt ein Meisterstück, sie singen so innig und zauberhaft, dass die Gänsehaut (und vielleicht sogar manche Träne) vor Ergriffenheit läuft. Stark!
III. Aufzug – das Quintett. Michael Spyres (Walther von Stolzing), Georg Zeppenfeld (Hans Sachs), Christina Nilsson (Eva), Christa Mayer (Magdalene), Matthias Stier (David). © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele
Ein dritter Aufzug als Spektakel
Der dritte Aufzug ist sowieso ein Fest für sich: Farben, Bewegung, eine Kuh im 70er-Jahre-Style, die Festwiese tanzt, der Chor glänzt. Ein echtes Highlight – auch dank des neuen Chorleiters Thomas Eitler-de Lint, der mit seinen Sängerinnen und Sängern sichtbar (und hörbar) neue Energie bringt. Die Festwiese wird zum großen Fest fürs ganze Dorf. Da überschlagen sich die Gags, die man auf den ersten Blick gar nicht alle erfassen kann: Doppelte Angela Merkels (Original sitzt im Publikum) tanzen mit doppelten Thomas Gottschalks (Original nicht im Publikum gesichtet), Dorf-Königinnen aller Art schreiten graziös herein (witzig: Bayerns Wirtschaftminister Hubert Aiwanger war mit Bayerns Jagd-Königin gekommen), und, und, und. Hereingetragen wird eine wie ein Pfingstochse aufgetakelte „Eva“, der Preis des Tages ist.
Nicht nur Stolzing will kein Meister sein. Auch Beckmesser scheint sich am Ende gegen diese ganze Tümmelei wehren zu wollen – und zieht, bevor er die Szene verlässt, der aufgeblasenen „Kuh“ über der Bühne den Stecker. Sachs („Verachtet mir die Meister nicht!“) rettet die Szene, verbindet die Kabel erneut, schafft es aber dennoch nicht, Walther als Meister zu gewinnen. Eva, mittlerweile vom Blumengedöns befreit, nimm ihm die Entscheidung ab – und ihn an der Hand.
Die üblichen Buhs für die Regie? Klar. Aber verhalten. Regisseur Matthias Davids hatte angekündigt, die komische Seite des Stücks zu betonen – und genau das hat er gemacht. Keine politische Deutung, keine Zwangsbedeutung, kein Zeigefinger. Einfach Oper mit Witz und Rhythmus. Das hat Charme – gerade im Jahr 2025, wo man manchmal einfach froh ist, wenn einem mal keine gesellschaftliche Analyse um die Ohren fliegt.
Ein Abend, der durch Leichtigkeit überzeugt.
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